Für unseren heutigen Interviewpartner aus Hamburg hat es sich seine Stadt nicht nehmen lassen, extra für ihn und seine Kombo eine Konzerthalle zu errichten. Die Elbphilharmonie steht, das neue Album ist auf dem Weg und die erste Single online! Grund genug für uns, uns Daniel Bernath, die markante Stimme hinter SYQEM,  das Multitalent im Gesang, der Gitarre, dem Theremin und vielen weiteren Haushaltsgeräten, für einen intensiven Talk zu schnappen.

 

 

Moin Daniel! Erst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns nimmst! Es ist ja bestimmt wahnsinnig stressig bei Dir gerade. Die neue Single ist online, das neue Video will gemacht werden, die neue Platte wartet in den Startlöchern und das bisschen Promo erledigt sich auch nicht von allein . Wie geht es Dir aktuell?

 

 

Hey Ecki! Danke für die Einladung und die lieben Worte. Mir geht’s super! Es ist nach gefühlt sechs Jahren unser erstes Lebenszeichen als Band, und die Reaktionen sind wirklich wundervoll. Ich habe die letzten Jahre als  THE DELTA MODE elektronische Musik gemacht, war dabei u.a. viel in Los Angeles und obwohl ich, wie man sicher merkt, genau so eine Liebe für elektronische wie für “echte” Musik habe, ist das Wiedersehen mit alten Bekannten der Szene wirklich überwältigend. Ich habe das Gefühl, ich war einfach ein paar Jahre in einem buddhistischen Kloster in Tibet, um neue Energie zu tanken, um diese Erfahrungen jetzt in mein altes Leben zurückzubringen. Kurzum: Mir gehts super! 

 

 

SYQEM hat sich 2001 in Hamburg gegründet, spielt Progressive Metal, gewann 2007 den Schandmaul-Newcomer-Preis, war 2008 auf ROCK AM RING vertreten, konnte 2012 ein fulminantes Konzeptalbum hinlegen (“Reflections Of An Elephant”) und auf einmal war es ruhig um Euch. Das war natürlich genau dann, als ich Euch entdeckte und Fan wurde (ich hab auch echt immer so ein Glück). Magst Du kurz schildern, was die Auszeit auslöste? Die Zeichen standen ja voll auf Sturm.

 

 

Es war eine turbulente Zeit... Ich habe als Künstler mein ganzes Leben auf diese Band ausgerichtet. Wir kommen noch aus einer Zeit, wo es nur einen Weg gab: Du musst Dir Dein Publikum live erspielen. Deswegen standen wir als Band gemeinsam irgendwann vor dem Punkt: alles auf eine Karte setzen oder aufgeben. Wir haben dann kollektiv alle gesagt: “Machen Wir”. Wir waren 2012 bei Sumerian Records (PERIPHERY, ASKING ALEXANDRIA) gesigned. Ein wirklich unfassbar guter Deal, mit viel Budget. Man hatte uns intern als die nächsten Muse gehandelt und alle waren sehr euphorisch. Wir hatten ein Management in den USA, und eine Bookingagentur die auch MESHUGGAH betreute, sowohl in Europa als auch in den USA. Alles stand auf Vollgas. Nur dann herrschte plötzlich über fast ein ganzes Jahr mehr oder minder Funkstille vom Label. Wir standen auf dem Schlauch, wurden immer wieder versetzt.  “Reflections Of Elephants” war gesigned, solltet re-released werden. Doch weder Geld noch Taten folgten. Wir als Band sind daran zerbrochen. Du kannst nicht 

Deinen Job runterfahren, und dann kein Geld durch das, wofür Du Deinen Job runterfährst, einnehmen. Das hat dann dazu geführt, dass wir letzten Endes den Deal mit allen kippen mussten. Damals ist eine Welt für uns zusammengebrochen. Heute weiss ich : “Touring Musician” wäre heute der finanzielle Ruin, gerade in Zeiten von Corona. Wer weiss, vielleicht hätten wir unsere Tour verschieben müssen und dabei unsere gesamte Existenz riskiert. 

 

 

Hört man sich Euer letztes Album an und vergleicht es mit der neuen Single, hat sich gewaltig was getan, was den Sound angeht. Hat Euch ein wenig die Arbeit an Deinem Elektroprojekt THE DELTA MODE, was nicht minder geiler ist (wenn man Elektro mag), auch beim Songwriting zu den neuen SYQEM-Songs beeinflusst?

 

 

Ja, absolut. Da sehe ich auch wirklich einen Gewinn. Es war für mich zwingend aus dem Genre “Djent” auszusteigen. Wir sind da auch durch die Tour mit PERIPHERY mehr oder minder reingezwängt worden. Ich liebe Musik. Aber ich brauche nicht zwingend Gitarren. Und wenn Du dann Gitarren nutzen MUSST, wirds irgendwann alles sehr ähnlich. Für mich ist die Geschichte der Gitarre einfach auserzählt. Ich könnte auch nicht mein Leben lang nur Bilder malen, die unter allen Umständen einen Elefanten enthalten müssten. Das kann natürlich zum Stilmittel werden. Aber ich bin Künstler. Und manche Geschichten kann ich einfach mit einem Elefanten nicht erzählen. Und so kann ich auch manche Geschichten nicht mit Gitarren erzählen. Der Neuanfang mit THE DELTA MODE war für mich eine Befreiung.

Natürlich kriege ich heute immer noch unter DELTA MODE-Videos Kommentare : “We want good old SYQEM back”. Ich verstehe das auf der einen Seite. Auf der anderen Seite denke ich, wenn man meine Kunst anschaut, wird man die Parallelen in allem was ich mache finden. Manchmal muss man etwas tiefer schauen. Elektronische Musik hat mich zurückgebracht zu dem Punkt, dass ich wieder verstanden hab, was wirklich wichtig ist sowohl für Livemusik als auch für Recorded Music. Der Moment. Beim DJing gehts darum, Momente zu generieren. Spannung, Entladung, Spannung, Entladung. Yin und Yang. Diese Antizipation, dieses Spüren und Hinleiten auf bestimmte Momente, das habe ich wiederentdeckt. Und vor allem : Less is more. Eine Kick und ein Bass bewegen ein Publikum oft mehr als komplexe Klangwelten. Dennoch: Beides bedingt einander.

 

 

2009 wart Ihr noch in Portlligat, Barcelona, um Inspirationen per FieldRecorder für Euer letztes Album einzufangen. 2020 war ja außer Balkon, Terasse und Waschküche nicht recht viel mehr drin. Wie sehr hat Euch die Coronakrise ausgebremst, bzw. unterstützt, was Eure neuen Songs angeht?

 

 

Wow, Du hast wirklich recherchiert! :-) Portligat ist so wunderschön, ich hoffe, wir kommen da auch als Band nochmal zusammen hin. Einfach magisch, der damalige Wohnort von Salvador Dali. Ja, Corona hat uns erst die Chance gegeben, wieder gemeinsam zu sehen, was uns wirklich wichtig ist. Und zum einen ist das diese ganz spezielle Ausdrucksform, die wir durch SYQEM geschaffen haben, zum anderen ist das auch die Gemeinsamkeit. Auch wenn ich das musikalische Brain des Ganzen bin, ist das immer noch eine ganz eigene Erfahrung, gemeinsam zu entscheiden: “Der Song ist SYQEM. Der Song ist nicht SYQEM. Der Chorus fühlt sich nicht richtig an.” Ich glaube, nach so vielen Jahren hat man gemeinsam ein kollektives Größeres geschaffen, das ganz neue Ergebnisse hervorbringt. Man vergisst oft, dass jeder Song, auch wenn nur von einer Person geschrieben, eigentlich das Ergebnis von unendlich vielen Faktoren ist. Dein Vater, Deine Mutter, Dein Umfeld, eigentlich Dein gesamtes Leben, Deine gesamte Sozialisation. Einfach gesagt: Alles beeinflusst alles. In meinen Augen besteht nichts aus sich selbst heraus. Deswegen fällt es mir auch immer schwer zu sagen: Das ist mein Song. Genau genommen ist er das nicht. Es ist immer “unser Song”. So gesehen hat Corona auch unsere neue Single “Dopamine” beeinflusst. Wir leben seit diesem Jahr ganz vermehrt in der digitalen Welt. Da ist das Thema aktueller denn jeh.

 

 

Ihr hattet Euch bei “Reflections” nach einem reinen digitalen Release, dank der großen Nachfrage Eurer Fans, auch für ein haptisches Release entschieden. Wird es das für die neue Platte auch geben?

 

 

Ich kann mir das gut vorstellen, zumal ich ja einen Vinylrelease seit vielen Jahren herbeisehne. :-D 

 

Jetzt mal zum neuen Album! Die neue Single “Dopamine” macht einen ja schon ganz wuschig! Inwiefern steht der Song für die musikalische Ausrichtung des Albums und...das wichtigste… wann ist es endlich soweit?

 

Wir gehen derzeit Song für Song vor.  Mindestens einen Song pro Monat, evtl. mehr.  Ich denke, wir werden in alle Richtungen mehr ausprobieren. Mal weniger Elektronik, mal mehr.

Mal mehr Gitarrennerd-Kram, mal weniger. Es wird wie ein guter Döner, mit alles scharfe Soße. Wobei wir fast alle in der Band vegan sind, aber dieses Fass werde ich jetzt nicht aufmachen. :-D

 

 

Ziemlich trocken hier- ;-) Lass uns mal eine kurze Auflockerungsrunde abhalten.

 

  • Wenn Du eine beliebige Aktivität zu einer olympischen Disziplin machen könntest. Bei welcher hättest Du die größten Chancen eine Medaille zu gewinnen?

 

 

Songs überarbeiten bis zur allerletzen Sekunde :-D :-D :-D Ich bin bekannt für SYQEM-NewSongFINALMASTERsololauterEditREMASTER1.992WIRKLICHDIEALLERLETZTEVERSIONVIELLEICHT.WAV

 

 

  • Welches war Dein erstes (Metal-)Album, was Dein erstes (Metal-)Konzert?

 

 

KORN - KORN . Erstes Konzert war RED HOT CHILLI PEPPERS, das war für mich damals auch Metal. :-D

 

 

  • Du hast genau 24 Stunden, um in einer menschenleeren Stadt zu machen was Du willst. Dir steht alles offen und es gibt keine Grenzen. Was würdest du tun?

 

 

Ich würde mich einfach mitten auf eine Hauptstrasse setzen und ungestört meditieren. 

 

 

  • Was findest Du bei der lokalen Musikszene beachtenswert, was verächtlich und was muss sich unbedingt ändern?

 

 

Ich würde mir mehr Individualität wünschen, dass weniger Mainstream-Narrative nachgeahmt  werden, und mehr eigene Ideen und Vorstellungen umgesetzt würden. Ich muss aber auch sagen, dass ich lokal so gut wie gar nichts mehr wahrnehme. Das liegt auch daran, dass es momentan keine lokale Musik mehr gibt, sondern jeder über Social Media die Welt zur Bühne hat. Dadurch wird natürlich reproduziert was “gut funktioniert”.

 

 

Du bist ein richtiges Multitalent! Du bist Sänger/Songwriter/Gitarrist bei SYQEM, ebenso treibende Kraft und Kreativkopf hinter THE DELTA MODE. Du hast Deinen eigenen Podcast “BrotdoseKunst”, bist Head-Producer im “UebersoundStudio Hamburg”, kannst mit einem Hammer Schrauben in die Wand nageln… Was kannst Du nicht, was Du jedoch unbedingt können möchtest?

 

 

Haha, genau das habe ich in meinem Leben vernachlässigt. Ich bin komplett unbegabt was handwerkliche Tätigkeiten angeht. Ich hänge immer alles mit Nägeln auf um nicht Bohren zu müssen. :-D 

 

 

Hast Du Dir musikalisch alles selbst beigebracht? Wie kamst Du zum Metal, zu der Gitarre?

 

 

Ich habe früh Klavier gelernt, dann aber schnell aufgehört, weil mein kleiner Finger immer unheimlich geschmerzt hat. Mit 15 habe ich dann auf Omas alter Akustikgitarre die ersten Akkorde gespielt, später dann mit 16 meine BLINK 182-Coverband mit einem Freund gestartet. Ich hab einfach gemacht. :-D Bin dann über Wes Borland dazu gekommen, erstmal mehr auf mein Outfit auf Bühnen zu achten als auf meine Technik. Letzenendes habe ich mich dann durch John Petrucci-Lehrvideos gekämpft, und BUCKETHEAD hat mich dann irgendwann dazu gebracht, komplett unkonventionell zu denken. Ich habe sicher viel falsch gelernt, aber am Ende hat mich das dazu gebracht, anders zu denken. Ich bin technisch sicher nicht der beste Sänger oder Gitarrist, aber ich weiß, wie ich ein Gefühl in Klang umsetze, so dass ich sagen kann: “Das meinte ich”. 

 

 

Was sind Deine Top 3 Musiker/Bands?

 

  • TOOL
  • FREDERIK THORDENDALK
  • PHIL COLLINS

 

 

Was sind Deine Top 3-Filme?

 

 

  • Mullholland Drive
  • Ducktales Der Film :-D
  • Un Chien Andalouse von (Luis Bunuel und Salvador Dali)

 

 

Was sind Deine Top 3-Bücher?

 

 

  • “Jetzt” von Eckhart Tolle
  • “Mut” von Osho
  • “Also sprach Zarathustra” von Friedrich Nietzsche (ich bin ehrlich, ich hab das Hörbuch gehört :-D)

 

Gleich hast Du’s geschafft ;-)

 

 

Was ist das Schlimmste  Lustigste, was Dir je bei einem Gig passiert ist?

 

 

Mir ist ne Saite gerissen, und ich musste nach Hause fahren, um neue Saiten zu holen, während des Gigs. :-D Vorbereitung wird erst zur Stärke, wenn man sowas mal erlebt hat.

 

 

Ergänze bitte: Nichts ist schlimmer als….

 

 

...zu vergessen, dass nichts gut oder schlecht ist, allein der Mensch macht es dazu.

 

Vielen vielen lieben Dank Daniel! Es war mir eine Ehre, mit Dir dieses Interview geführt zu haben! Für die Zukunft wünsche ich natürlich alles erdenklich Gute und freue mich schon auf das neue Material! Die Platte ist auf jeden Fall schon mal sicher in meiner Plattensammlung! Nun bleibt mir nur noch zu hoffen, dass man sich demnächst mal sieht! Und hier unser klassischer Rausschmeißer: 

Was wolltest Du schon immer mal loswerden?

 

In diesem Falle möchte ich Dir und Euch danken, dass Ihr Euch die Zeit nehmt, Musik, die keine große Aufmerksamkeit bekommt, zu unterstützen. Wir benötigen kulturelle Vielfalt, wir benötigen einen Austausch über verschiedene Sichtweisen und Meinungen. Nur so kommen wir uns alle näher, und wir hören auf, uns gegenseitig zu bekämpfen. Anstatt gegen Dinge zu sein, sollten wir uns alle so wie ihr es tut FÜR Dinge einsetzen, damit wir alle die Chance haben, unsere Potentiale zu entwickeln und zu entfalten. Namaste. 🙏

 

Vielen Dank!

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Interview von Ecki

aus dem Scheppercore Archiv 2019-2022